Die Nachfolgeplanung einer Tierarztpraxis gehört zu den komplexesten Herausforderungen im Berufsleben eines Veterinärs. Anders als bei anderen Unternehmen spielen hier nicht nur wirtschaftliche Aspekte eine Rolle, sondern auch die Verantwortung gegenüber langjährigen Patienten, dem eingespielten Team und der regionalen Tierhaltergemeinschaft.
Viele Praxisinhaber unterschätzen den zeitlichen Vorlauf, den eine professionelle Nachfolgeplanung benötigt. Während manche erst kurz vor dem gewünschten Renteneintritt mit der Suche beginnen, zeigt die Praxis: Wer zwei bis drei Jahre vorher startet, hat deutlich bessere Karten bei der Kaufpreisverhandlung und kann Steuergestaltungen optimal nutzen.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind dabei ebenso vielschichtig wie die emotionalen Aspekte. Von der Bewertung des Patientenstamms über arbeitsrechtliche Fragen bei der Teamübernahme bis hin zu datenschutzrechtlichen Anforderungen bei der Karteienübergabe – eine Vielzahl von Rechtsgebieten greift ineinander.
Dieser Leitfaden zeigt Ihnen systematisch auf, welche Nachfolgemodelle zur Verfügung stehen, wie Sie Ihre Praxis optimal auf den Verkauf vorbereiten und welche rechtlichen Fallstricke Sie dabei vermeiden sollten.
Inhalt
Warum frühe Planung bei der Praxisnachfolge entscheidend ist
Optimaler Zeitpunkt für maximalen Praxiswert
Je früher Sie mit der Nachfolgeplanung beginnen, desto größer werden Ihre Gestaltungsspielräume. In den Jahren vor dem geplanten Verkauf können Sie gezielt den Unternehmenswert steigern: durch Modernisierung der Ausstattung, Optimierung der Prozesse oder Aufbau zusätzlicher Leistungsbereiche.
Ein klassisches Beispiel: Die 58-jährige Tierärztin Dr. Müller investiert drei Jahre vor ihrem geplanten Ruhestand noch einmal in ein digitales Röntgensystem und baut ihre Kardiologie-Sprechstunde aus. Beim späteren Verkauf kann sie einen um 15% höheren Kaufpreis erzielen, da die Praxis modern aufgestellt ist und diversifizierte Einnahmequellen bietet.
Steuerliche Weichenstellung rechtzeitig vornehmen
Steuerlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob Sie Ihre Praxis als Asset-Deal (Verkauf der einzelnen Wirtschaftsgüter) oder Share-Deal (Verkauf von Gesellschaftsanteilen) übertragen. Bei rechtzeitiger Planung können Sie die für Sie günstigste Variante wählen und beispielsweise Freibeträge bei der Schenkungsteuer optimal nutzen, wenn eine Familiennachfolge geplant ist.
Nachfolgersuche ohne Zeitdruck
Ein qualifizierter Nachfolger, der sowohl fachlich als auch menschlich zur Praxis passt, findet sich selten über Nacht. Wer früh beginnt, kann mehrere Kandidaten prüfen, Probearbeiten organisieren und sicherstellen, dass die Chemie zwischen Nachfolger und bestehendem Team stimmt.
Sechs Nachfolgemodelle im Überblick
1. Verkauf an einen Einzelnachfolger
Das klassische Modell: Ein Tierarzt oder eine Tierärztin übernimmt die komplette Praxis. Dieser Weg bietet die größte Planungssicherheit, da nur zwei Parteien beteiligt sind und keine komplexen Gesellschaftsstrukturen entstehen.
Vorteile:
- Klare Verhältnisse bei Verhandlung und Übergabe
- Oft emotionale Kontinuität für Patientenbesitzer
- Vollständige Kaufpreisrealisierung in der Regel sofort möglich
Herausforderungen:
- Finanzierungshürden für junge Tierärzte oft hoch
- Abhängigkeit von einer einzigen Person
- Kein schrittweiser Übergang möglich
2. Stufenweise Übernahme durch einen Partner
Das sanfte Modell: Der künftige Nachfolger steigt zunächst als angestellter Tierarzt oder Mitgesellschafter ein und übernimmt die Anteile schrittweise über mehrere Jahre.
Dieses Modell erfordert eine präzise gesellschaftsrechtliche Gestaltung. Bewährt haben sich Vereinbarungen, die dem Partner zunächst eine Probephase als angestellter Tierarzt ermöglichen, gefolgt von einem ersten Anteilserwerb von 25-49% und der Option auf vollständige Übernahme nach weiteren zwei bis drei Jahren.
Rechtliche Stolpersteine:
- Bewertungsmechanismen müssen von Anfang an klar definiert sein
- Ausstiegsklauseln für beide Seiten notwendig
- Klare Regelungen zu Stimmrechten und Geschäftsführung erforderlich
3. Familiennachfolge
Das emotionale Modell: Die Übergabe an die eigenen Kinder oder andere Familienmitglieder erfordert besonders sorgfältige Planung, da hier familiäre und betriebliche Interessen aufeinandertreffen.
Steuerliche Optimierung durch Schenkung: Bei einer Schenkung an Kinder können alle zehn Jahre 400.000 Euro steuerfrei übertragen werden. Durch geschickte Gestaltung – etwa die Übertragung von Praxisanteilen bei gleichzeitigem Nießbrauchsvorbehalt an den Gewinnen – lassen sich erhebliche Steuervorteile realisieren.
Vermögenstrennung als Schutz: Besonders wichtig ist die klare Trennung von Privat- und Betriebsvermögen. Praxisimmobilien sollten idealerweise in einer separaten Gesellschaft gehalten und an die Praxis verpachtet werden. So bleibt das Immobilienvermögen geschützt, auch wenn die Praxis wirtschaftliche Schwierigkeiten durchlebt.
4. Verkauf an Tierarztgruppen oder Investoren
Das kapitalstarke Modell: Zunehmend kaufen Tierarztketten und Finanzinvestoren etablierte Praxen auf, um regionale Netzwerke zu bilden.
Vorteile:
- Oft überdurchschnittliche Kaufpreise
- Professionelle Abwicklung
- Schnelle Finanzierungszusage
Erhöhte Anforderungen:
- Umfangreiche Due-Diligence-Prüfung erforderlich
- Compliance-Anforderungen steigen
- Detaillierte Aufbereitung aller Verträge und Prozesse notwendig
Die Vorbereitung auf solche Verkäufe erfordert oft die Einrichtung eines digitalen Datenraums mit allen relevanten Unterlagen von Mietverträgen über Personalakten bis hin zu dreijährigen Gewinn-und-Verlust-Rechnungen.
5. Praxisfusion
Das kooperative Modell: Zwei oder mehr Tierarztpraxen schließen sich zusammen, um Synergien zu nutzen und Kosten zu senken.
Bei Fusionen entstehen oft komplexe gesellschaftsrechtliche Strukturen. Bewährt hat sich das Modell der Partnerschaftsgesellschaft (PartG), da hier die persönliche Haftung der Gesellschafter begrenzt und gleichzeitig die steuerlichen Vorteile einer Personengesellschaft erhalten bleiben.
Typische Regelungsbereiche:
- Einbringung und Bewertung der Vermögensgegenstände
- Gewinnverteilungsschlüssel
- Entscheidungsfindung bei unterschiedlichen Beteiligungsverhältnissen
- Ausstiegsmodalitäten und Abfindungsregelungen
6. Geordnete Praxisschließung
Das Auslaufmodell: Wenn sich kein geeigneter Nachfolger findet, muss die Praxis ordnungsgemäß abgewickelt werden.
Die größte Herausforderung liegt in der rechtssicheren Überleitung der Patientenkartei. Nach der Tierärzteordnung müssen Behandlungsunterlagen zehn Jahre aufbewahrt werden. Eine pauschale Weitergabe an eine andere Praxis ist ohne Einverständnis der Tierhalter nicht zulässig.
Praktisches Vorgehen:
- Rechtzeitige Information der Patientenbesitzer (mindestens drei Monate vorher)
- Individuelle Einverständniserklärungen für die Karteienübergabe
- Kooperation mit aufnehmenden Praxen in der Region
- Ordnungsgemäße Meldung bei Tierärztekammer und Finanzamt
Praxisbewertung: So ermitteln Sie den realistischen Marktwert
Die wichtigsten Bewertungsfaktoren
Ertragswert-Verfahren: Bei Tierarztpraxen hat sich die Bewertung nach dem Ertragswert-Verfahren durchgesetzt. Dabei wird der durchschnittliche Jahresgewinn der letzten drei Jahre mit einem Faktor zwischen 0,8 und 1,5 multipliziert.
Einflussfaktoren auf den Multiplikator:
- Standortqualität und demografische Entwicklung
- Patientenstruktur (Privat- vs. Landwirtschaftspraxis)
- Zustand und Alter der Ausstattung
- Personalbestand und Vertragssituation
- Mietvertragslaufzeit und -konditionen
Substanzwert nicht vernachlässigen
Neben dem Ertragswert spielt auch der Substanzwert eine Rolle – besonders bei gut ausgestatteten Praxen mit moderner Technik. Röntgenanlagen, Ultraschallgeräte oder OP-Ausstattungen behalten auch bei gebrauchtem Zustand erhebliche Werte.
Typische Wertansätze:
- Medizintechnik: 30-50% des Neuwerts (je nach Alter)
- Laborausstattung: 20-40% des Neuwerts
- Praxiseinrichtung: 10-25% des Neuwerts
Immaterielle Werte richtig einschätzen
Der Patientenstamm als wichtigster immaterieller Vermögenswert ist schwer zu bewerten. Als Faustregel gilt: Ein loyaler Patientenstamm mit regelmäßigen Wiederholungsbehandlungen rechtfertigt höhere Bewertungsansätze als eine Praxis mit vielen Laufkunden.
Rechtliche Fallstricke bei der Praxisübernahme vermeiden
Arbeitsrechtliche Besonderheiten
Betriebsübergang nach § 613a BGB: Bei einem Praxisverkauf liegt grundsätzlich ein Betriebsübergang vor. Das bedeutet: Alle Arbeitsverhältnisse gehen automatisch auf den Käufer über – einschließlich aller Rechte und Pflichten.
Kündigungsschutz beachten: Der Käufer kann bestehende Arbeitsverhältnisse nicht allein wegen des Betriebsübergangs kündigen. Betriebsbedingte Kündigungen sind zulässig, sobald ein objektiver betrieblicher Grund vorliegt und die gesetzlichen Vorgaben eingehalten sind; eine gesetzliche Wartefrist gibt es nicht.
Informationspflichten: Verkäufer und Käufer müssen die Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB schriftlich, vollständig und rechtzeitig über Zeitpunkt, Grund, Folgen und ihr Widerspruchsrecht unterrichten.
Datenschutz bei der Karteienübergabe
DSGVO-konforme Übergabe: Die Patientenkartei enthält besonders sensible Gesundheitsdaten. Eine Weitergabe ohne Einverständnis der Tierhalter ist grundsätzlich unzulässig.
Praktische Lösung: Bewährt hat sich ein zweistufiges Vorgehen: Zunächst werden die Tierhalter über den geplanten Praxisverkauf informiert und um ihr ausdrückliches, schriftliches Einverständnis (Opt-in) gebeten. Ohne diese Einwilligung dürfen keine personenbezogenen Patienten- oder Halterdaten übergeben werden.
Gewährleistung und Haftung
Verkäufergarantien: Käufer verlangen meist umfangreiche Garantien des Verkäufers – etwa zur Vollständigkeit der Patientenkartei, zur ordnungsgemäßen Abrechnung oder zum Zustand der Geräte.
Haftungsbegrenzung: Verkäufer sollten ihre Haftung zeitlich und der Höhe nach begrenzen. Üblich sind Haftungsobergrenzen von 10-20% des Kaufpreises und Verjährungsfristen von einem Jahr nach Übergabe.
Steuerliche Gestaltung: Asset-Deal vs. Share-Deal
Asset-Deal: Verkauf der Wirtschaftsgüter
Funktionsweise: Verkauft werden die einzelnen Vermögensgegenstände der Praxis (Ausstattung, Patientenstamm, Vorräte). Der Verkäufer bleibt formal Praxisinhaber bis zur Übergabe.
Steuerliche Folgen:
- Gewinne aus dem Verkauf sind als Betriebseinnahmen zu versteuern
- Freibetrag für Veräußerungsgewinne nutzen (§ 16 EStG)
- Möglichkeit der Gewinnglättung durch Verteilung auf mehrere Jahre
Vorteil für Käufer: Vollständige Abschreibung der erworbenen Wirtschaftsgüter möglich.
Share-Deal: Verkauf von Gesellschaftsanteilen
Funktionsweise: Verkauft werden Anteile an einer Gesellschaft (GmbH, PartG), die die Praxis betreibt. Die Gesellschaft selbst bleibt bestehen.
Steuerliche Folgen:
- Bei Personengesellschaften: Anwendung des § 16 EStG mit Freibetrag
- Bei Kapitalgesellschaften: Teileinkünfteverfahren oder Abgeltungsteuer
- Oft günstigere Gesamtsteuerbelastung
Nachteile für Käufer: Keine Neubewertung der Wirtschaftsgüter, dadurch geringere Abschreibungsmöglichkeiten.
Optimale Gestaltung nach Einzelfall
Die Wahl zwischen Asset- und Share-Deal hängt von verschiedenen Faktoren ab: Rechtsform der Praxis, Höhe des Kaufpreises, Steuersituation beider Parteien und gewünschter Haftungsabgrenzung.
Beispielrechnung: Bei einem Kaufpreis von 300.000 Euro kann die Steuerersparnis durch optimale Gestaltung zwischen Asset- und Share-Deal 15.000 bis 25.000 Euro betragen – je nach individueller Steuersituation des Verkäufers.
Fazit: Drei Erfolgsfaktoren für Ihre Praxisnachfolge
1. Frühzeitig beginnen: Starten Sie die Nachfolgeplanung mindestens zwei Jahre vor dem gewünschten Übergabetermin. So haben Sie ausreichend Zeit für die Optimierung des Praxiswerts und können steuerliche Gestaltungen optimal nutzen.
2. Professionelle Begleitung nutzen: Die Praxisnachfolge vereint Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Erbrecht. Eine fachkundige Beratung verhindert teure Fehler und optimiert das Ergebnis für alle Beteiligten.
3. Ganzheitlich denken: Berücksichtigen Sie nicht nur den Kaufpreis, sondern auch die Zukunft Ihrer Mitarbeiter, die Kontinuität für die Patienten und Ihre eigene Absicherung im Ruhestand. Eine gut geplante Nachfolge schafft für alle Beteiligten eine Win-win-Situation.
Die Übergabe einer Tierarztpraxis markiert das Ende eines Berufslebens und den Beginn eines neuen Kapitels. Mit der richtigen Vorbereitung wird aus diesem Übergang eine Erfolgsgeschichte – für Sie, Ihre Nachfolger und alle, die Ihnen vertraut haben.
Häufige Fragen zur Tierarzt-Praxisnachfolge
Tierarztpraxen werden üblicherweise mit dem 0,8- bis 1,5-fachen des Jahresgewinns bewertet. Eine Kleintierpraxis mit 80.000 Euro Jahresgewinn erzielt also Kaufpreise zwischen 64.000 und 120.000 Euro. Hinzu kommt der Wert der Ausstattung, der separat berechnet wird.
Die großen Unterschiede ergeben sich durch Standortfaktoren, Patientenstruktur und Zukunftsperspektiven. Praxen in wachsenden Vororten erzielen höhere Multiplikatoren als solche in schrumpfenden ländlichen Regionen.
Bankfinanzierung: Die meisten Hausbanken finanzieren bis zu 80% des Kaufpreises, wenn der Käufer entsprechende Sicherheiten bietet.
KfW-Förderung: Das KfW-Programm „Unternehmerkredit“ bietet günstige Zinsen für Existenzgründer und Praxisübernehmer.
Verkäuferdarlehen: Oft gewährt der Verkäufer ein Darlehen über 10-30% des Kaufpreises, um den Verkauf zu ermöglichen.
Earn-out-Modelle: Der Kaufpreis wird teilweise erfolgsabhängig gestaltet – der Käufer zahlt mehr, wenn die Praxis die prognostizierten Gewinne erreicht.
Vorteile der Übernahme:
- Sofortiger Patientenstamm und Umsatz
- Eingespieltes Team
- Etablierte Lieferanten- und Bankenbeziehungen
- Geringeres unternehmerisches Risiko
Nachteile:
- Höhere Investition als bei Neugründung
- Weniger Gestaltungsfreiheit
- Möglicherweise veraltete Strukturen
Wirtschaftlich überwiegt meist die Übernahme, da der Aufbau eines Patientenstamms bei Neugründung Jahre dauert und unsicher ist.
Nach § 613a BGB gehen alle Arbeitsverhältnisse automatisch auf den Käufer über. Die Mitarbeiter müssen über den geplanten Übergang informiert werden und können diesem widersprechen. In der Praxis wechseln aber fast alle Beschäftigten mit, da ein Widerspruch das Arbeitsverhältnis beim Verkäufer belässt – der die Praxis ja schließt.
Der neue Inhaber kann die übernommenen Arbeitsverträge nicht sofort ändern, sondern muss die bisherigen Konditionen einhalten. Anpassungen sind erst nach angemessener Zeit durch Änderungskündigungen oder Aufhebungsverträge möglich.
Eine professionell geplante Praxisübergabe benötigt in der Regel 6-12 Monate vom ersten Verkäuferkontakt bis zur endgültigen Übergabe. Verkäufe an Tierarztketten können schneller ablaufen (3-6 Monate), während Familiennachfolgen oft länger dauern (12-18 Monate).
Die längste Phase ist meist die Nachfolgersuche und -prüfung. Wer mehrere Interessenten parallel prüft, kann diese Zeit verkürzen.


