Ein Beitrag von Ralph Butenberg, Fachanwalt für Erbrecht und Steuerrecht
Wenn ein Landwirt seinen Hof vererbt, gehen nicht nur Land und Gebäude, sondern oft auch komplexe steuerliche Verpflichtungen auf die Erben über. Genau das zeigt ein aktueller Fall, in dem ein verpachteter Bauernhof vererbt wurde. Nach dem Tod des Landwirts beschlossen die Erben, den Betrieb endgültig aufzugeben und den Hof zu verkaufen. Diese Entscheidung der Erben hatte steuerliche Konsequenzen, die bis vor das oberste Finanzgericht (BFH, Urteil vom 10.5.2023, II R 3/21) führten.
Kernproblem: Können die durch den Verkauf und die damit verbundene Betriebsaufgabe entstehenden Steuern (Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) als sogenannte Nachlassverbindlichkeiten von der Erbschaftsteuer abgezogen werden?
Das Gericht entschied gegen die Erben – mit weitreichenden Folgen für ähnliche Fälle.
Inhalt
Was ist ein „Aufgabegewinn“?
Der Begriff „Aufgabegewinn“ ist ein steuerrechtliches Konzept, das bei der Aufgabe eines Betriebs entsteht. Aufgabe bedeutet, dass der Betrieb nicht weitergeführt wird, sei es durch Verkauf, Stilllegung oder andere Formen der Betriebsbeendigung. In einem solchen Fall berechnet das Finanzamt die Differenz zwischen dem aktuellen Wert der betrieblichen Vermögenswerte (z. B. Grundstücke, Gebäude, Maschinen) und deren ursprünglichem Anschaffungswert. Diese Differenz wird als Gewinn gewertet und muss versteuert werden.
Beispiel:
Ein Landwirt kauft vor 30 Jahren einen Bauernhof für 200.000 Euro. Im Laufe der Jahre steigt der Wert des Betriebs, und der Hof wird schließlich für 500.000 Euro verkauft. Die Differenz von 300.000 Euro ist der sogenannte Aufgabegewinn. Dieser Betrag wird dem zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet, und darauf fallen Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer an.
Relevanz für Erbschaften:
Wird ein Betrieb vererbt, können die Erben entscheiden, ob sie ihn weiterführen oder aufgeben. Wenn sie den Betrieb aufgeben, wie im vorliegenden Fall, entsteht dieser Aufgabegewinn. Die steuerlichen Folgen hängen dann davon ab, ob der Gewinn dem Erblasser oder den Erben zugerechnet wird.
Streitpunkt: Können Steuern als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden?
Die zentrale Frage in diesem Fall war, ob die Steuern, die durch den Aufgabegewinn entstanden sind, als Nachlassverbindlichkeiten von der Erbschaftsteuer abgezogen werden können.
- Nachlassverbindlichkeiten sind Schulden oder finanzielle Verpflichtungen, die der Erblasser hinterlassen hat. Sie mindern die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer, wodurch die Steuerlast für die Erben sinkt.
- Typische Nachlassverbindlichkeiten sind etwa Kredite, offene Rechnungen oder Steuerschulden des Erblassers, die vor seinem Tod entstanden sind.
Argumente der Erben:
Die Erben argumentierten, dass die durch den Verkauf des Hofes entstandenen Steuern (Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen seien. Ihrer Ansicht nach stammten diese Schulden indirekt vom Erblasser, da der Betrieb und die Pachteinnahmen Teil seines Nachlasses waren.
Argumente des Finanzamts:
Das Finanzamt sah dies anders: Es wies darauf hin, dass der Aufgabegewinn erst durch die Entscheidung der Erben entstanden ist. Hätte der Landwirt zu Lebzeiten den Betrieb aufgegeben, wären die Steuern eindeutig als Nachlassverbindlichkeiten zu bewerten. Da jedoch die Erben nachträglich handelten, seien die Steuern eine Folge ihrer eigenen Entscheidung und nicht auf den Erblasser zurückzuführen.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs
Der Bundesfinanzhof (BFH), das höchste Gericht für Steuerfragen, entschied zugunsten des Finanzamts. Er stellte fest, dass die auf den Aufgabegewinn entfallenden Steuern keine Nachlassverbindlichkeiten darstellen. Das Urteil basierte auf mehreren wesentlichen Überlegungen:
- Entstehung der Steuern durch die Erben:
Die Aufgabe des Betriebs wurde erst nach dem Tod des Landwirts durch die Erben beschlossen. Damit wurde der steuerpflichtige Tatbestand – die Betriebsaufgabe – nicht vom Erblasser selbst verwirklicht. Die Steuern wurden daher nicht durch das Handeln des Verstorbenen ausgelöst, sondern durch die Erben. - Kein wirtschaftlicher Zusammenhang:
Nach der Rechtsprechung des BFH können Steuerschulden nur dann als Nachlassverbindlichkeiten gelten, wenn sie in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und der Erblasser diese Verpflichtungen zu Lebzeiten hätte tragen müssen. Da der Landwirt den Betrieb jedoch nicht selbst aufgegeben hatte, bestand dieser Zusammenhang nicht. - Stichtagsprinzip im Erbschaftsteuerrecht:
Im Erbschaftsteuerrecht gilt das Stichtagsprinzip: Entscheidend für die Bewertung des Nachlasses ist der Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Zu diesem Zeitpunkt bestand keine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung der Steuern, da die Betriebsaufgabe erst später erfolgte.
Auswirkungen auf die Praxis
Dieses Urteil hat weitreichende Folgen für Landwirte und deren Erben. Es verdeutlicht, wie wichtig es ist, steuerliche Entscheidungen bereits zu Lebzeiten des Landwirts zu treffen. Andernfalls können sich die Erben später in einer steuerlich nachteiligen Situation wiederfinden.
Praktische Tipps:
- Frühzeitige Planung:
Landwirte sollten gemeinsam mit ihren Erben und Steuerberatern frühzeitig überlegen, wie der Betrieb im Falle einer Vererbung behandelt werden soll. Soll der Betrieb weitergeführt oder aufgegeben werden? - Betriebsaufgabe zu Lebzeiten:
Wenn eine Betriebsaufgabe absehbar ist, sollte diese idealerweise noch zu Lebzeiten des Landwirts erfolgen. In diesem Fall könnten die Steuern als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. - Detaillierte Dokumentation:
Um Streitigkeiten mit dem Finanzamt zu vermeiden, sollten Entscheidungen zur Betriebsführung oder -aufgabe schriftlich festgehalten und mit einem Steuerberater abgestimmt werden.
Beispiel für einen besseren Ablauf:
Ein Landwirt, der weiß, dass seine Erben den Betrieb nicht weiterführen wollen, könnte noch zu Lebzeiten den Verkauf des Hofes einleiten und die Betriebsaufgabe selbst erklären. Dadurch entstehen die Steuern auf den Aufgabegewinn noch zu seinen Lebzeiten und können später als Nachlassverbindlichkeiten geltend gemacht werden.
Fazit
Das Urteil des Bundesfinanzhofs zeigt, dass steuerliche Entscheidungen bei der Vererbung von landwirtschaftlichen Betrieben komplex sind und erhebliche finanzielle Auswirkungen haben können. Eine rechtzeitige Planung und Abstimmung mit Experten kann helfen, unerwartete Steuerbelastungen zu vermeiden. Für Erben ist es entscheidend zu wissen, dass Handlungen, die sie nach dem Tod des Erblassers vornehmen, steuerlich anders bewertet werden können als Entscheidungen des Verstorbenen selbst.